Es ist in unserem kleinen Oncocua auch an Wochentagen sehr ruhig und beschaulich, aber der Sonntag hat etwas Besonderes. Es liegt eine Ruhe über dem Ort, die man kaum beschreiben kann, eine friedliche Atmosphäre, alles ist still. Auch die Menschen sind ausgeglichener und gehen den Tag langsam an. Ein Stückchen Leben, was wir schon lange Zeit nicht mehr kennen. Mir geht spontan durch den Kopf, ob in Deutschland gerade verkaufsoffener Sonntag ist und die Menschen sich durch Shopping Mails und Fressbuden drängeln. Aber irgendwie ist es mir ehrlich gesagt völlig egal hier am Ende der Welt, wie die Einheimischen selbst diese Gegend nennen.
Ich sitze mit Nascimento allein vor unseren Casas, denn alle anderen sind Halleluja machen, in der Kirche. Danach wollen wir ja alle gemeinsam eine Besorgungsfahrt zum Rio Corocua machen. Nascimento kommt aber nicht mit. Er hat wieder Probleme mit seinem rechten Knie. Ein altes Kriegsleiden, was er sich im Bürgerkrieg zugezogen hat. Der Bürgerkrieg ist gerade einmal etwas mehr als zwei Jahre vorbei. Eine Zeit, an die er sich nicht gern erinnert, über die er selten spricht. Ich akzeptiere das und stelle auch nur wenige Fragen. Langsam kommen die Kirchgänger und setzen sich zu uns. Es wird etwas lebendiger, aber so wie es sich für einen Sonntag gehört, nur ein klein wenig. Neuigkeiten werden berichtet, denn so ein Gottesdienst ist gleichzeitig auch ein Informationsaustausch im Ort.
Dann geht es los. Säcke mit Kleidung und Stoffen, Maismehl und anderes Nützliche werden in meinem Toyota verstaut. Wir fahren noch am Internat vorbei und holen Francesco ab. Der Toyota ist bis unters Dach vollgestopft mit Leuten und Kleidersäcken. Ich frage mich, wie wir auf dem Rückweg da noch ein paar Ziegen unterbekommen sollen. Das klärt sich aber sofort auf. Ein paar steigen schon vorher aus und zwei unserer Leute bleiben dort, um in der Gegend dann für ein paar Tage weitere Tauschgeschäfte zu machen. Ich frage, wie sie dann wieder zurück kommen. Bolea heißt das Zauberwort, irgend jemand kommt schon mal mit einem Gefährt irgendwann vorbei, und schon hat man seinen Transport gesichert.
Ein Trampelpfad am Ortsende führt uns zur Straße nach Corocua. Diesen Weg kannte ich bisher nicht und ich bin erstaunt, sogar so etwas wie eine Straße erkennen zu glauben. Eigentlich ist es nur eine Geröllpiste ins Nichts. Aber zum Glück habe ich ja meine ortskundigen Navis dabei, wenn auch mitunter Diskussionen aufflammen, ob nun nach rechts oder links abgebogen werden soll. In diesem Fall halte ich erst einmal an und warte das Ergebnis ab. Joan hat mir eine Kassette von den Beack Street Boys geschenkt, die ich als mein Heiligtum betrachte, denn es ist die einzige, die ich habe und die mich an vertraute Klänge erinnert. Jede Fahrt muss sie im Fahrzeug herhalten, gefühlte eintausend Mal. Inzwischen hat man sich geeinigt und es geht weiter. Die Landschaft ist schön. Sie wechselt von flachen Ebenen mit steppiger Begrasung bis hin zur bergigen Felslandschaft, bewachsen mit Bäumen und großen Sträuchern. Nach gut einer Stunde kommen wir zu einem kleinen Dorf. Es sind ein paar Jangos, Rundhütten, in der eine Großfamilie wohnt. Vielleicht 20 bis 30 Einwohner. Sie züchten ein paar Ziegen, trotzen diesem steinigen Boden ein paar Pflanzen ab und verkaufen eine Grasart, die man mit unserem Schilf vergleichen kann und die für das Eindecken der Dächer von Rundhütten dient. Sehr begehrt ist diese Grasart bei den Lodges und edlen Herbergen in größeren Städten, die ihre Gäste gern in typische Unterkünfte einquartieren.
Ich schaue mich um und keiner nimmt von mir Notitz. Shopping auf angolanisch ist angesagt. In dem kleinen Dörfchen leben Macuana und die wiederum sind bekannt für ihre Schwäche an schönen bunt gemusterten Stoffen. Naja Frauen. Obwohl nur selten Besuch kommt und noch seltener Handel betrieben wird, läuft alles sehr ruhig ab, nicht vergleichbar mit unseren einheimischen Frauen in Deutschland, die wild kreischend durch die Warenhäuser mit Schnappatmung rennen. Ich habe jedenfalls erst einmal Zeit, mir alles in aller Ruhe anzuschauen. Einige Jangos sind großräumig mit dornigen Ästen und Gestrüpp umzäunt. Hier werden über Nacht die Ziegen mit untergebracht, um sie vor Raubtieren zu schützen. Das hohe Gras wiederum wird auf Stelzenbauten gelagert, um dieses wiederum vor den verfressenen Ziegen zu schützen. So ist das Leben. Die Umgebung ist eher karg, und einen Brunnen sucht man im Dorf vergebens. Hier müssen größere Wege in die Berge zurückgelegt werden, um an natürliche Wasserspeicher zu gelangen. Es erstaunt mich immer wieder, mit wie wenig Wasser hier die Menschen auskommen...
Etwas später und mit zwei neuen mitreisenden Ziegen wollen wir noch an den Fluß Corocua fahren. Die Regenzeit ist vorbei und aus dem sonst reißenden Fluss ist ein stilles Flüsschen geworden, der hier bis zur nächsten Regenzeit endet. Im ausgetrockneten Flussbett sieht man die vielen Steine, die in der Regenzeit aus den Bergen mitgerissen wurden. Francesco macht sich über eine Bergpalme her und erntet ein paar Palmenspitzen, die gekocht sehr gut schmecken. Die Rückfahrt führt uns direkt durch eine Mulola. Ein ausgetrocknetes Flussbett, welches versandet ist und so seine Gefahren beim Durchqueren birgt, die wir gleich selbst erleben dürfen. Der Toyota hat sich festgefahren, und auch mit kleinen Grabearbeiten, Zweigen und Steinen kommen wir nicht mehr frei. Ich habe dann am Ufer einen Baum ausgesucht, und zum Glück war unsere Seilwinde lang genug und wir können uns selbst herausziehen. Aber wenigstens bleiben wir von der alltäglichen Reifenpanne verschont. Es gibt kaum eine Tour, in der die Reifen von ziemlich fiesligen Dornen zerstochen werden.
Langsam nähert sich der Abend und die untergehende Sonne taucht alles in ein warmes Licht. Nur der Weg zeigt sich nicht gerade von seiner romantischen Seite. Gerade im Dunklen heißt es höllisch aufpassen, natürlich nicht auf Gegenverkehr, den es so gut wie nie gibt, sondern das unwegsame Gelände und das noch bei Dunkelheit. Ein Aufschrei geht plötzlich durchs Fahrzeug...schneller...schneller. Ich habe automatisch Gas gegeben. Vor unseren Wagen läuft ein kleines Tier, und alle hoffen, es zu erwischen. Es soll ähnlich wie unsere Hasen aussehen und sehr gut schmecken. Diesen Abendbrot-Wunsch konnte ich aber leider nicht erfüllen, ich sah kein Tier im Scheinwerferlicht. Es war ein sehr schöner Sonntagnachmittag, und wir saßen noch kurze Zeit vor unserer Casa und ließen den Abend ausklingen.
Die nächste Woche hat es in sich. Wir erwarten den Ministerpräsidenten von Cunene Senhor Mutimbe zu Besuch und der Ort soll sich natürlich von seiner besten Seite zeigen. Aber erst einmal steht am Montag eine Impfkampagne in unserer Lare, dem Internat, an.